Ein kleines Dorf im Fürstentum Winterfeste, im Jahre 221 der 2. Ära... Die zwei Nord rennen durch den tiefen Schnee des Waldes, den Abhang hinunter ins Tal, den sie noch kurze Zeit vorher erklommen haben.
Es ist bereits dunkel, aber in der Ferne können sie Lichtschein erkennen.
Velens Gedanken scheinen zu explodieren, während er Mühe hat Tallak Torbansson zu folgen, der trotz seiner Köpermasse ein schier ungeheures Tempo vorlegt.
Er hat noch nie einen der Toten Wanderer leibhaftig zu Gesicht bekommen, aber viel von ihnen gehört.
Die Toten Wanderer, so werden die Vampire hier in den umliegenden Tälern genannt.
Während er sich durch den Schnee kämpft ist er im Geiste bei seinen Geschwistern und er spürt zum ersten Mal echte Angst.
Sie nähern sich dem Dorf.
Und dann hört er es...Schreie, Todesschreie...
Der Lichtschein entpuppt sich als Feuer, welches sich in einigen Hütten und Gebäuden des verschneiten Dorfes ausbreitet.
Als Tallak und Velens im Dorf eintreffen, herrscht dort das pure Chaos.
Einige leblose Körper, teils ausgeweidet und in ihrem Blute liegend säumen den Dorfplatz, während aus allen Ecken diese markerschütternden Schreie ertönen.
Dunkle, hagere blasse Gestalten, meist nur in einfachen Leinen gehüllt huschen umher, stürzen sich auf fliehende Weiber und Kinder.
Einige Nordkrieger, wohl ob des Angriffs überrascht, kämpfen ohne Rüstung um ihr Leben und müssen sich teils einer Übermacht stellen.
Der Schnee färbt sich rot...Tallak wirft seinen Bogen zur Seite, zieht sein Schwert, sowie sein Messer und rennt, wild schreiend und mit weit aufgerissenen Augen auf zwei Angreifer zu, die sich gerade in eine am Boden liegende Nordfrau verbissen haben, die mit Armen und Beinen strampelt und zuckt, aber ohne Chance ist.
Velens stoppt, zückt seinen Bogen, als er aus rechter Hand einen der Vampire mit unglaublicher Geschwindigkeit auf Tallak zu rennen sieht.
Tallak sieht ihn nicht kommen und so spannt Velens den Bogen, zielt, fixiert den Wanderer, atmet ein und schickt den Pfeil auf den Weg, der den Vampir im Hals trifft und Boden wirft.
Einer der Vampire über dem Nordweib schaut, auf als Tallak schon da ist.
Die Kreatur sieht die Klinge, die auf ihn zu rast und in diesem Moment seinen Kopf von den Schultern trennt.
Der Andere lässt von der Frau am Boden ab, springt zur Seite, um sich dann sofort auf Tallak zu stürzen.
Velens sieht, wie der Angreifer sich auf Tallak wirft, ihn förmlich anspringt und sich in seinem Hals verbeißt.
Er will ihm zur Hilfe eilen, spannt erneut den Bogen, als er jäh erstarrt, da sich der zuvor mit dem Pfeil niedergestreckte Unhold langsam wieder hoch rappelt und ihn ins Visier nimmt.
Velens mag es kaum glauben.
Sein Pfeil steckt noch in seinem Hals.
Des Vampirs Gesicht verformt sich zu einer Fratze mit messerscharfen Reißzähnen, als er beginnt auf Velens zuzulaufen.
Er legt an und trifft, abermals.
Der Vampir sackt zusammen, geht auf die Knie, rappelt sich aber abermals auf.
Velens legt einen weiteren Pfeil an, hat sein Ziel direkt vor sich und trifft ihn nun direkt ins Auge.
Die untote Kreatur fällt rücklings in den Schnee und bleibt dort regungslos liegen.
Tallak konnte indes den zweiten Angreifer abschütteln, ihn zu Boden werfen und sein Schwert in seinen Körper treiben.
Er blutet am Hals, blickt kurz zu der toten Frau am Boden, wendet sich dann aber dem Haupthaus zu, aus dem nun ein einzelner Vampir langsam hervor tritt.
Velens folgt ihm mit etwas Abstand, während um sie herum weiter Todessschreie ertönen und ums nackte Leben gekämpft wird.
Der einzelne Vampir bleibt einige Meter vor dem Haupthaus stehen und blickt ruhig gen Tallak, der sofort erkennt, dass es sich wohl um den Anführer handeln muss.
Er hat fast weiße Haut, graues, längeres Haar und golden glühende Augen, die Tallak mustern.
Torbansson umfasst seine Klingen noch fester, starrt den Grauhaarigen voller Hass an, als sich in diesem Moment von beiden Seiten mindestens vier Vampire auf ihn stürzen.
Velens ist starr vor Schreck, kann sich nicht rühren, als er sieht, wie die Angreifer ihre raubtierhaften Zähne in das Fleisch seines Freundes treiben und ihn zu Boden reißen.
Der Graue steht weiterhin ruhig da und lächelt leicht, während vor ihm Tallak Torbansson sein Leben aushaucht und sich seine Gefolgsleuten daran machen ihn auszuweiden.
Velens schreit auf, spannt den Bogen und richtet ihn auf den Grauen, der ihn augenblicklich fixiert.
Ihre Blicke treffen sich, Velens atmet tief ein, bereit den Pfeil auf den Weg zu schicken, als in diesem Moment neben dem Anführer eine Nordfrau auftaucht und sich neben ihn stellt.
Velens traut seinen Augen nicht.
Es ist Hjotrta, seine Schwester.
Sie steht da, ruhig, fast schon ein wenig schwankend.
Blut ist da am Hals und an ihrer Schulter.
Die Augenlider sind nur halb geöffnet, als ob sie betäubt sei.
Aber sie blickt ihn an, schaut Velens in die Augen.
Und ihr Blick sagt nichts, gar nichts...
Velens Askorgesson, Sohn des Askorge, kann den Blick nicht von ihr lassen und ihm wird klar, was passiert ist.
Er begreift, dass dies das Ende ist, hier in diesem verschneiten kleinen Dorf im Fürstentum Winterfeste.
Er senkt den Bogen, während sich hinter ihm weitere der Toten Wanderer rasch nähern.
Ein letzter Blick gen Hjotrta, dann wird er zu Boden gerissen...
Es schneit indes nicht mehr so stark, als die Todesschreie im Dorf langsam verstummen und es ruhig wird, während sich die Vampire über die Toten her machen, ihnen ihr Blut zu nehmen.
Auf des grauhaarigen Gesicht zeichnet sich weiterhin ein Lächeln ab, als er sich sodann gen Hjotrta wendet, sie anblickt und ihr die Hand reicht...
Davons Wacht in Steinfälle, im Jahre 583 der 2. Ära... Eine einzelne, halb herunter gebrannte Kerze auf einem hölzernen Beistelltisch schenkt den in dunklen Stein gehaltenen und ansonsten düsteren kargen Raum etwas Licht.
Es ist ruhig.
Vikor Askorgedottirs Blick ruht schon seit einer gefühlten Ewigkeit auf seines Vaters Gesicht, der vor ihm in einem einfachen Bett vor einigen Stunden sein Leben aushauchte.
Er hat ihn bei seinem letzten Gang begleitet, war an seiner Seite, als er ein letztes Mal die Augen schloss.
Brerod Askorgedottir war ein gebrochener, alter Mann.
Der Nord schlief gar friedlich hier in diesem kleinen, spärlich eingerichteten, Haus in Davons Wacht ein.
Hier, wo er fast die ganzen letzten Jahre von der Außenwelt zurückgezogen lebte, verbittert ob der Schicksalsschläge, die ihn und seine Familie im Laufe ihres Daseins trafen und der es dennoch auf stolze 94 Lebensjahre brachte.
Viktor richtet seinen Oberkörper auf und wendet seinen Blick ab von seinem toten Vater in die eine Ecke des Raumes, wo der Argonier Geht-ins-Wasser ebenso ruhig schon seit Stunden verweilt.
Ihre Blicke treffen sich, Worte werden nicht gewechselt.
Geht-ins-Wasser ist ein alter Freund der Beiden.
Warum sich sein Vater und er - zwei Nord - und der Echsenmann so gut verstanden, war Viktor nie so ganz klar.
Vielleicht weil Geht-ins-Wasser ebenso kein Mann vieler Worte war und weil auch er seine Heimat, den Schwarzmarsch, verliess, um hier in Steinfälle sein Glück zu versuchen.
Viel weiß Viktor nicht über ihn, aber es ist in Ordnung so.
Auf ihn war und ist Verlass, das hat er bereits mehrfach bewiesen.
Die kalten, knochigen Hände des toten Brerod ruhen auf einem alten Buch.
Ein schon leicht verschlissenes Buchband mit einigen Zeichen darauf hält die zahlreichen teils vergilbten Seiten zusammen.
Es ist ´das´ Buch...
Das Buch ihrer Familie.
Dort wird Viktor alles finden, was er wissen muss.
Er, der hier in der Hafenstadt Davons Wacht geboren wurde und seine Heimat nie sah.
Sein Vater hat nie viel über die Askorgedottirs erzählt, hielt sich immer bedeckt.
Selbst das es dieses Buch überhaupt gibt, sollte Viktor erst kurz vor Brerods Tode erfahren.
Jetzt, auf dem Sterbebett aber verriet er ihm - dem Letzten der Askorgedottirs - die dunkle Stunde der Familie.
Er offenbarte ihm was vor hunderten vor Jahren in einem kleinen verschneiten Dorf, im kalten Fürstentum Winterfeste der Provinz Himmelsrand passierte.
Und er erzählte von ihr, vom Schandfleck der Familie...Hjotrta.